TRANS*MEMORY 1

TRANS*MEMORY 1
Geschichte, der Meinung bin ich, ist die Gegenwart – wir, mit jedem Atemzug, den wir tun, mit jeder Bewegung, die wir machen, sind Geschichte -, und was geschehen soll, geschieht.
James Baldwin„Das Gesicht der Macht bleibt weiß“ 2. April 1985

Meine Erinnerungen spiegeln sich in den Filmen und Bücher die ich gelesen oder gesehen. Erinnerungen sind Empfindungen, Gefühle, Bilder aus denen sich das, was ich mein „Ich“ nenne, formt. So ist mein Blick auf das Leben, die Welt, letztlich ein subjektiver und ganz sicher nicht objektiv. Als Trans* bin ich als Betroffene, in der Beschreibung von Trans*, ganz gewiss nicht objektiv, da ich ja nur mein Trans* beschreibe.  Aber ebensowenig sind die, die mich und Trans* von außen beschreiben, objektiv.

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DVD cover of Funeral Parade of Roses, starring “Peter”, a.k.a Shinnosuke Ikehata, Wikipedia
Vor ein paar Tagen habe ich mir, nach vierzig Jahren, Toshio Matsumotos 1Film: „Funeral Parade of Roses“ 2 angesehen. Damals hieß er in seiner deutschen Fassung: „Pfahl in deinem Fleisch. Bei Wikipedia steht, dass er das Vorbild für Stanley Kubricks Film „Clockwork Orange“ war. Was wohl etwas über diesen Film sagt.

Apokalyptische homoerotische Ödipus Version

Ich kann mich noch an den seelischen Aufruhr erinnern, den diese Bilder in meinem Geist auslösten. Sie zerrissen mich regelrecht. Nahmen mich auseinander und stellten mich auf den Kopf. Die Bilder betrafen mich als Trans* Wesen und zwar ganz persönlich. Matsumoto hatte einen Film über das gemacht, was er die homosexuelle Subkultur nannte. Ein Film, der übergangslos in die gleichzeitige Underground Szene der Beat Bewegung, ihres Drogenkonsums und ihrer Rastlosigkeit, sowie der Kunst Szene der Sechziger, wie die des Fluxus, dem Happening,  changiert, um am Ende dann alles miteinander zu verbinden. Dann ihren Ausdruck  in der Gewalt der politischen Anti Vietnam Bewegung und später, in der japanischen Roten Arme Fraktion findet. Zum Schluss sich dann selber deutet in einer apokalyptischen homoerotischen Version der Ödipus Sage.

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Der Film spielt im Tokio der späten Sechziger. Ist, wie ich es damals empfand, ein einziges Nachtmahr. Ein Alptraum, der mich magnetisch anzog. Und mich wie die Lektüre von Djuna Barnes „Nachtgewächs“ oder John Rechys „Nacht in der Stadt“ in einem Malstrom wildester Transphantasien ertrinken ließ. 3
Ich löste mich auf, in Frankfurts schwulem Underground der Sechziger.  Der sich sicher kaum mit dem Tokios, wie Matsumoto ihn in seinem Film beschreibt, vergleichen lässt. Aber beide existierten unsichtbar in der großen alltäglichen Heteronorm dieser Welt. Dem Alltag unseres täglichen Lebens. Das Leben in dieser Szene bedeutete einfach unsichtbar zu sein. Zu verschwinden und nicht mehr wahrgenommen zu werden in der Wirtschaftswunderwelt der jungen Bundesrepublik. Unsichtbar zu sein und zu einem Nachtgewächs zu mutieren.
Vor ein paar Jahren dann, Leslie Feinbergs “Stone Butch Blues”
4 lesend, musste ich an John Rechys “Nacht in der Stadt” denken. Rechys Roman ist eine exzessive Beschreibung der vor -Stonewall* Welt. Ähnlich wie Leslie Feinbergs Buch. Nur nicht aus der Sicht von Trans*, dafür aus der Sicht schwuler Stricher. Wobei Trans* eine wichtige Rolle in „Nacht in der Stadt“ spielt als tragischer queerer Chor, durch die USA der Sechziger. Trans* als Bewusstsein in der jetzigen Form gibt es damals noch nicht.

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Ebenso wenig wie in Matsumatos Film “Funeral Parade of the Rosés”. Und trotzdem war alles schon da, was heute LGBTI* genannt wird. Damals aber war Trans* in den Augen der heteronormativen Mehrheit, die je weder die Bücher von Hirschfeld noch die späteren von Money und Benjamin gelesen, noch davon gehört hatte, was Trans* ist, nichts anderes als die perverseste Form der Homosexualität. Dies ist heute anders. Ein Mensch der heute Trans* ist, wird heute nicht mehr unbedingt als homosexuell betrachtet.
Matsumato spricht in seinen Kommentaren zum Film nicht von Transsexuellen, nur von Gay Boys. Von jungen Männern, die Frauen darstellen, und in den englischen Untertiteln werden sie auch, wie in Rechy’s Buch, als Queens bezeichnet. Nicht als Trans* oder Transsexuelle, noch als Transgender. Schrille Geschöpfe der Nacht, Fairies. Wesen einer zauberhaften homoerotischen Gegenwelt männlicher Phantasie. Die ihren Ursprung in der über allem als Dach existierenden patriarchalen heteronormativen Weltsicht unserer Weltzivilisation hat.

Trans* in klassischen fernöstlichen Kulturen

Traditionell gibt es in der patriarchalen japanischen, wie in der chinesischen Kultur, eine Möglichkeit, zumindestens teilweise ein Leben als Frau zu führen, wenn man als solche biologisch nicht geboren ist. Man genießt sogar eine Menge Vorteile gegenüber biologischen Frauen, man ist, wenn man die Fähigkeit hat, ein Objekt männlicher Begierde und zwar der Männer, die zur herrschenden Klasse gehören. Keine biologische Frau in China oder Japan kann diese Verehrung erreichen. Der chinesische Film z.B. “Lebwohl meine Konkubine” 5 lässt diese Welt wieder auferstehen.
In der traditionellen Welt, der klassischen chinesischen Peking Oper, wurden vor der Mao Zeit sämtliche Frauenrollen von Männern dargestellt. Ebenso bis heute im japanischen Kabuki Theater. Es war, wenn man begabt genug war, dann möglich, zumindestens teilweise, ein Leben als Frau zu führen, und sogar ein Star zu werden. Diese Wesen, japanisch „Onnagata“ waren und sind von einer patriarchalen Kultur mit stark homoerotischer Prägung geschaffene weibliche Wesen, sozusagen eine Art im männlichen Bewusstsein erträumte Idealfrau. Jenseits aller realen biologischen Weiblichkeit.
Wenn man nun den japanischen Film “Funeral Parade of the Rosés” betrachtet, wird diese traditionelle Rolle deutlich an der Hauptfigur Peter oder Ikehata Shinnosuke.

Zwischenbemerkung: Beim Schreiben dieses Textes, wird mir klar das ich nicht weiß, wie Ikehata Shinnosuke sich selber geschlechtlich einordnet. Ich sehe und sah sie immer als Transfrau. Nur, weder der Regisseur Matsumato noch die Japaner, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, gaben Ikehata das Recht, eine Frau zu sein.


In einer fundamentalistisch christlichen Website über Japan wird Ikehata Shinnosuke folgendermaßen beschrieben: „Shinnosuke Ikehata is a Japanese singer, dancer and actor. He uses his moniker of Peter when he appears on TV variety shows and musical revues. He adopted the stage name when he was 16 after his style of dress and dance which was said to resemble Peter Pan. He is a transgender pervert.“


Unsichtbarkeit der Transfrau

Beim Betrachten des Films, der immer wieder unterbrochen wird von den Live-Interviews der Darstellerinnen, die in meinen Augen alle echte Transfrauen sind, werden sie in den Kommentaren immer als Gayboys bezeichnet. Und ihre Antworten spiegeln die Ausweglosigkeit ihrer Situation, jemals ihre gefühlte Identität zu verwirklichen. Letztlich sind sie der Ausdruck der uralten japanischen Tradition der Onnagata, der Frauendarsteller des Kabuki, transportiert in das Nachtleben Shinjukus, ohne die Verehrung der klassischen Kabuki Onnagata zu erlangen.
Aber Peter wurde ein Star und ist ein Star. In meinen Augen aber ist der Höhepunkt ihrer Karriere nicht Matsumotos Trans* Drama “Funeral Parade of the Rosés”, es ist die Darstellung des Hofnarren in Akira Kurosawas “Ran”. Kurosawas Interpretation des shakespeareschen King Lear Themas.
Ikehata Shinnosuke startete ihre Karriere als Peter, weil sie sich mit Peter Pan identifizierte und unter diesem Pseudonym als Nachtklub Tänzerin in Tokios Stadtteil Shinjuku arbeitete. Dort wurde sie dann auch von Matsumoto für die Rolle in “Funeral Parade of the Rosés” entdeckt. Im Grunde spielt sie sich selber, ein Leben, das für Transmenschen, von den Fünfzigern bis in die Siebziger, nur unter dem Schutz der Nacht denkbar war.

Die normative Matrix will es so

Dass es für die betroffene Person schon immer anders war, interessierte außer den Betroffenen niemand. Und damals noch weniger als heute. Der Traum, der Wunsch, Frau zu sein, ist letztlich der heteronormative Traum des Mittelstandes. Wie es Miss Destiny in John Rechys “Nacht in der Stadt” ausdrückt: ”Es sind die Perlen Baby, es muss eine Hochzeit sein, eine richtige Hochzeit, wie sie jedes Mädchen haben sollte”. Oder wie Butch, einer der Stricher auf dem Pershing Square in Los Angeles, über die dortigen Queens sagt:”Egal was ist, was auch immer ihnen passiert, ihr Glaube ist unzerstörbar, dass sie eigentlich richtige Frauen sind.” Und das ist das gleiche, was die interviewten Protagonisten von “Funeral Parade of Rosés” mit ihren Augen ausdrücken, während sie beredt schweigen.

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Dass der Traum, eine Frau zu sein, im Gegensatz zu den scheinbar biologischen Tatsachen, nicht krank ist und zwangsläufig zum Scheitern verurteilt, ist in dieser Gesellschaft ein recht neues Phänomen. Am deutlichsten lässt wohl Rainer Werner Fassbinder in seinem Film “in einem Jahr mit 13 Monden”
6 die transsexuelle Hoffnung scheitern. Obwohl in Casablanca operiert, begeht die eigentliche Heldin des Films, die sich nicht anderes wünscht, als eine Frau unter Frauen zu sein, Selbstmord. Und wie üblich wird die Protagonistin nicht von einer Trans* Frau dargestellt sondern von dem Schauspieler Volker Spengler. Und dies in einer Melodramatik, die bis heute die Darstellung von Trans* Menschen in deutschen Filmen prägt. Das Scheitern des Strebens, eine Frau zu sein, drückt jede Bewegung der Darsteller aus. Und dies ist in allen deutschen filmischen Darstellung von Trans* zu sehen. Von Volker Spengler bis Edgar Selge. Die normative Matrix dieser Gesellschaft will das so, Veränderungen sind da bisher nur wenige auszumachen.
Transphobie ist in dieser Welt ein tief sitzendes Vorurteil.  Dabei spielt es kaum eine Rolle, von welcher Gruppe dieser Gesellschaft, diese ausgeht. Ob hetero, schwul oder lesbisch, keine dieser Gruppen kann sich davon freisprechen, Vorurteile gegen Trans* Menschen gehabt zu haben. Es ist ähnlich wie mit der Prostitution, zu der Trans* ja einst gehörte, die besser gesagt der Ort der Zuflucht war. Eine Art Zuhause. Und so wie die Kreise, die definieren, was Prostitution ist und wie man mit ihr umgeht, bestimmen die gleichen Kreise seit Ewigkeiten, was Trans* ist und wie man diese Menschen zu behandeln hat.

Wir haben den Medizinern Macht  gegeben

Nachdem die Queens und Fairies ihre nächtlichen Parks und Bars in den Großstädten dieser Welt verließen, dann zum großen Teil zu Transsexuellen mutierten, die nicht nur in Casablanca sich körperlich ihrer inneren Wahrheit anpassten, nachdem es sogar rechtlich möglich war, sich dem wahren Geschlecht entsprechend ins Register eintragen zulassen, übernahmen die Chirurgen und Psychologen die Herrschaft über das Phänomen. Erfanden sofort einen Krankheitsbegriff, wenn jemand nicht in die herkömmliche Matrix, von Mann und Frau passt: Gender dysphoria. Was sagt, dass Trans* Menschen an einer psychischen Identitätsstörung leiden. Wenn dann nachgewiesen wird, durch einen Psychologen, das man psychisch krank ist, also an Gender dysphoria leidet, bekommt man die Erlaubnis, sich auch körperlich dem Weiblichen anzupassen. Und sich als Frau oder umgekehrt als Mann zu benennen. Wenn das nicht schizophren ist … Es sagt aber auch etwas aus über Herrschaft und Macht des Systems.
Wenn man davon ausgeht, dass die Hetero-Matrix ein Naturgesetz ist, ist für diese Einstellung jede Abweichung von der Matrix eine Krankheit. Wenn man aber nun betrachtet, wo diese Matrix ihre Wurzel hat, aus welchem geistigen Gespinst sie entstand, findet man an gleicher Quelle ein ebenso unheilvolles Gespinst, was eine ebenso erschreckende, grausame mitleidslos Blutspur hinter sich herzieht der Rassismus. Und diese Quelle hat auch einen Namen: „Koloniale
Herrschaft“.

Lernen, stolz auf unser Trans* zu sein

Aus dem kolonialen Denken entstehen die Muster des Rassismus, der Heteronormativität und damit das Recht, anderen ihre Rechte zu nehmen. Das Ganze wird im Zuckerguss des kleinen heteronormativen Glücks mit Reihenhaus sowie Frau am Herd mit zwei Kindern verpackt und wird damit auch zum Traum von Trans. Dem Traum, der dazu da ist, das revolutionäre queere Potential in beherrschbare Bahnen zu lenken und ihr_ihm Power zu nehmen. In dem Wahn, eines Tages im heteronormativen Glück zu stranden scheitert Trans* an sich selber. Weil Trans* sich aufsplittert und glaubt, dass es ein jenseits von Trans* gibt. Ein Sein in der CIS Welt als Mann oder Frau. Nur das gibt es nicht, solange das Imperium der Herrschaftsstruktur des Heteronormativen nicht zerstört ist. Und die Herrschenden werden den Teufel tun. Wer Trans* ist, egal wie offensichtlich anerkannt, wird immer Trans* bleiben. Selbst die jetzigen scheinbaren Stars unserer Szene bleiben Trans*. Auch Balian Buschbaum wird immer ein Transmann bleiben. Er hat sich so geoutet und jedes Outing, und wenn nur auf Facebook, reicht aus, um der Welt mitzuteilen du bist Trans*. Es gibt keinen Ausweg. Und weil es keinen Ausweg gibt, sind wir letztlich frei. Und weil wir frei sind, haben wir nichts zu verlieren*. Lernen wir endlich, stolz darauf zu sein, dass wir Trans* sind. Unsere Vorfahren in den matrilinearen Kulturen der Welt waren es. Und es wird Zeit das wir es auch sind.
Statt zweier Geschlechter besteht die Vielfalt der Geschlechter und aus dieser ergibt sich deren Wertschätzung. Denn nur aus der Wertschätzung des anderen, dem Gegenüber, entsteht das, wonach sich im Grunde alle sehnen, ein menschenwürdiges miteinander.

LINKS und QUELLEN:
Notes:
Toshio Matsumotos (Matsumoto Toshio) (born March 25, 1932) is a Japanese film director and video artist. He was born in Nagoya, Aichi, Japan and graduated from Tokyo University in 1955. ↩

http://en.wikipedia.org/wiki/Funeral_Parade_of_Roses (Bara no S?retsu?) is a 1969 Japanese drama film directed by Toshio Matsumoto. It is a loose adaptation of Oedipus Rex set in the underground gay counterculture of 1960s Tokyo. The film was released by ATG (Art Theatre Guild) on 13 September 1969 in Japan. ↩


John Rechy „Nacht in der Stadt“,(* 10. März 1931 in El Paso, Texas) ist ein US-amerikanischer Autor. Sein erster Roman reflektiert seinen biografischen Hintergrund als homosexueller Mann mit mexikanisch-schottischer Abstammung. Rechy ist Hochschullehrer im Master of Professional Writing Program an der University of Southern California.



Leslie Feinbergs “Stone Butch Blues” Roman | Aus dem amerikanischen Englisch von Claudia Brusdeylins?480 Seiten, broschiert, ISBN 978-3-960041-35-0, 16.90 €»Das beeindruckendste Lesbenbuch, das ich jemals gelesen habe!«Konny, lesben.org |»Wenn Sie Ihre eigene sexuelle Identität bislang für einen unveränderbaren Zustand hielten, sind Sie sich nach der Lektüre dieses Romans womöglich nicht mehr ganz so sicher.«Tagesspiegel ↩



Lebwohl meine Konkubine ist ein chinesischer Film von Chen Kaige aus dem Jahr 1993. Er ist eines der wichtigsten Werke des chinesischen Kinos der Regisseure der fünften Generation. Wikipedia ↩


In einem Jahr mit 13 Monden ist ein Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahre 1978. Volker Spengler spielt die Hauptrolle als Erwin/Elvira Weishaupt. Wikipedia ↩

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Nachgedanken zu „Die tranzsendierte Frau“ von Jean Lessenich

Nachgedanken zu
„Die tranzsendierte Frau“ von Jean Lessenich
Erschienen im Psychosozial-Verlag Giessen 2012


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Vor einem Jahr am 10 August habe ich den folgenden Text auf L-Talk publiziert, ich muss sagen, ich stehe immer noch zu diesem Inhalt.

Wenn man ein Buch geschrieben hat muss man damit rechnen, dass dieses Buch nicht unkommentiert bleibt. Insbesondere, wenn dieses Buch eine persönliche Abrechnung mit dem eigenen Leben ist. Also eine Biographie. Es ist selbstverständlich, wenn man ein solches Buch schreibt,dass die Reaktionen nicht einheitlich sein können. Im Gegenteil, es ist ja gerade die Reaktion der Leser, die für die Autorin das Salz in der Suppe ist.

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en die Reaktionen ausbleiben, wäre es, als ob man in den Bergen auf den Ruf der Stimme kein Echo erhalte. Die Reaktion der Leserinnen und Leser ist also das ersehnte Echo für die Autorin. Es ist so, als ob man in der Wildnis steht und ruft in der Hoffnung auf Antwort. Nun, die Antworten habe ich bekommen.

„Die transzendierte Frau“ ist die Geschichte eines Trans-Lebens. Ich gehöre zu denjenigen Transfrauen, die Trans waren bevor es so was wie eine Trans-Szene gab. Ich gehöre zu jener ersten Generation von Transfrauen, die Sandy Stone in „The Empire strikes Back. A Posttranssexual Mainfesto“ die romantische nannte. Wir, die wir damals nach Casablanca pilgerten in jene weiße Stadt, wie sie Stone beschreibt: „die nach orientalischen Gewürzen duftet und nach Dung“, wir waren die ersten einer neuen Art gemachter Frauen. „Dort im modernen Teil der Stadt, gelegen an einem breiten, sonnigen Boulevard, befindet sich ein Gebäude. Es ist eigentlich nicht besonders bemerkenswert, wenn da nicht eine Messingplatte mit Namen angebracht wäre, welche dieses Gebäude als die Klinik von Dr. Georges Burou identifiziert, eine Klinik, die in erster Linie der Entbindung, der Gynäkologie gewidmet ist, aber doch für viele Jahre einer anderen Reputation diente, unbekannt für den Strom der marokkanischen Frauen, die die Räume der Klinik durchquerten.“* Dort wurden aus männlichen Körpern weibliche.

Während also in Casablanca Dr. Burou uns operierte, wagten in San Francisco unsere Schwestern in Compton’s Cafe, noch „Drag Queens“ genannt, Jahre vor Stonewall, nichts wissend von Trans aber doch voll Trans, den Aufstand gegen die allgegenwärtige Diskriminierung durch die Polizei. Dies ist nachzusehen in dem Film von Susan Stryker und Victor Silverman.

Und so ein Leben mit einem Hauch von Susan Strykers Film „Screaming Queens at the Compton Cafe“ führten wir. In den Sechzigern und frühen Siebzigern, hat das ja auch einen Hauch von „Letzte Ausfahrt Brooklyn“.

Das heißt, bei den Lesern meines Buches begegnete mir auf der Hetero Seite auch die Reaktion des Bedauerns über das arme Kind, was ich in ihren Augen wohl war, wie auch das Erschrecken über die Radikalität meiner Existenz, als Transe in diesen Jahren. Aber es begegnete mir auch die Toleranz, hinter der sich die Transphobie der Pseudo-Liberalen verbirgt. Dass ein solches Leben auch eine gewisse Komik beinhaltet, vor allem in der Begegnung mit dem, was Judith Butler die Hetero Phantasmorgie benennt, fiel vor allem den Mädels aus der Richtung des „njulezz“ auf. (Ein großes Kompliment an diese). Im besonderen muss ich da an meine junge Mitleserin während meiner Lesung innerhalb des Sommerblut Festivals 2012 in Köln denken, die meine Kindheit in einem Eifeldorf mit einem solchen sarkastischen Humor vortrug, dass all die jungen anwesenden Lesben lachen mussten. Und das ist gut so.

Das ist die eine Seite. Es hat schon eine gewisse Komik, wenn ein kleiner Junge, der noch nicht weiss, dass er eigentlich ein Mädchen sein sollte, unter großen Anstrengungen der Macho Dorfjugend beweisen will, dass er sich ihnen zugehörig fühlen will. Das hat etwas von der Tragik eines Fassbinder Films, irgendwie Pulp Fiction der Fünfziger und Sechziger. Und das muss man mögen und das kann nicht jeder oder jede, besonders dann nicht, wenn man in der Welt der Hetero- Garantie aufgewachsen ist.

Von einer solchen erfuhr ich einmal, dass sich fuer sie, wenn sie mit mir in Frankfurt in einer entsprechenden Szene-Kneipe war: „unter ihr die Hölle auftäte“. Was soll es.

Dass ich lesbisch bin wurde mir erst klar, als ich im Anschluss an Casablanca mit einer funktionierenden Vagina und Klitoris versuchte, eine Heterofrau zu sein. Es ging schief. Und es ist bis heute so, dass ich jeden elegant geformten Vibrator aus hautfreundlichem, sanftem Silikon einem Penis vorziehen würde.

Frauen sind einfach die schöne Seite des Lebens und es ist einfach toll, eine zu sein.

Oft ist ein Bedauern zu spüren wenn Heteros nach meinem Leben fragen. Ein Bedauern, das aus einer Überzeugung stammt, die es nicht besser weiss, die nicht weiss, dass es Alternativen zu ihrem Leben gibt.

Und das ist schade. Leider zieht sich das auch in die lesbische wie auch in die Homo-Szene rein. Es ist so eine unbewusste, verdrängte Empfindung wie: ich bin die ‚richtige‘ Frau oder Mann, während die Trans-identischen immer noch die Empfindung haben, zweite Wahl zu sein, obwohl es niemand sagt. Wir eben gemachte, trans-identische Frauen schlagen uns mit soviel Behördenkram rum, um vor den Behörden, Versicherungen, Krankenkassen Frau oder Mann zu sein, dass wir oft eines vergessen: Wir können noch so viele behördliche Nachweise bezüglich unseres Geschlechts haben, aber die eigentliche Schlacht liegt in unseren persönlichen Beziehungen zu Freundschaften und Partnern.

Wie unser Sexleben, unsere Erotik nach der OP aussieht? Weiss das jemand? Gibt es darüber Aussagen? Eine grobe Schätzung sagt, dass 70 Prozent der Trans-Frauen lesbisch sind, ebenso bei den Männern ca. 70 Prozent schwul. Haben die Frauen Partnerinnen? Zum Beispiel Bio-Frauen? Ich weiss es nicht. Die meisten von uns verschwinden in der Anonymität nachdem sie die Tortur durch Krankenhäuser, Gerichte und Psychologie hinter sich haben. Aber das Leben fängt erst nach all dem an.

Warum heißt mein Buch „Die transzendierte Frau“ fragen Sie? Nun das ist einfach: viele Transfrauen glauben, dass sie eine weibliche Seele seien, die in einem männlichen Körper eingeschlossen sei und durch die Operation befreit würde.

Ich habe ein anderes Bild. In jedem Menschen ist die Möglichkeit des Weiblichen wie des Männlichen. Ich glaube, dass mein Leben ein Prozess der Transzendenz ist, ein Prozess wie aus einem Samen eine Blume wird, über verschiedene Wandlungsphasen, ein Hinauswachsen über das Gegebene, Ein Werden, eine Frau werden.
Und dann darüber hinaus die Frau, die man sein soll.

http://www.amazon.de/Die-transzendierte-Frau-Eine-Autobiografie/dp/3837921700/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1375565707&sr=8-1&keywords=Jean+Lessenich


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"Böse Mädchen"

(auf einem Seminar)
Eine Frau aus dem Publikum fragte: „Warum sind da so wenig Frauen auf der Liste? Warum sind so wenige Frauen in diesem Programm in dieser ganzen Woche? Und warum sind so wenige Frauen unter den Schriftstellern der Beat Generation?“ Gregory Corso ganz entschieden seriös, sich nach vorne lehnend sagt:“ Da waren Frauen, ja sie waren dort, ich kannte sie, ihre Familien steckten sie in Einrichtungen und dort gab man ihnen Elektroschocks. In den Fünfzigern konntest Du, wenn Du männlich warst, ein Rebell sein, doch wenn Du weiblich, warst,sperrten sie dich ein, deine Familien. Da gab es diese Fälle,ich kannte sie. Eines Tages wird jemand über sie schreiben.“ – aus Stephen Scobie’s Bericht aus dem Naropa Institute Tribut für Allen Ginsberg,
Juli 1994


Allen_Ginsberg_and_Elise_Cowen

Elise Cowen mit Allen Ginsberg. Quelle Wikipedia


Elise Cowen wurde als einzige Tochter eines New Yorker Ehepaars im Jahre 1933 in Long Island geboren. Und starb am 1. Februar 1962 in Washington Heights (New York City) durch Selbsttötung, indem sie durch das geschlossene Fenster des Wohnzimmers ihrer Eltern aus dem vierten Stock sprang.
Elise Cowen ist eine Vergessene, eine von der Welt Vergessene.
Sie ist die, von der Gregory Corso in diesem Zitat spricht. Sie hatte sich schuldig gemacht in den Augen ihrer Eltern, ihrer Zeitgenossen, der amerikanischen Gesellschaft der fünfziger Jahre Amerikas, der Eisenhower Zeit. Indem sie so lebte wie es für ihren Freund Allen Ginsberg die Vorrausetzung war, das zu werden was er wurde, einer der berühmtesten Dichter Amerikas des 20. Jahrhundert. Elise, die Freundin seiner Jugend durfte nicht so leben. Durfte sich nicht nehmen, was fuer sie als Mann selbstverstaendlich gewesen wäre. Wurde vergessen, weil man als junge Frau in den Fünfzigern nicht so leben durfte wie die Beatniks lebten. In Erinnerung blieb, dass sie seine Manuskripte, z.B. „Kaddish“,ins Reine tippte. Und, dass sie für ihn und seinen Geliebten Peter Orlovsky die Wohnung rein hielt und für beide kochte.
Joyce Johnson, Autorin von „Warten auf Jack Kerouac“ (auf deutsch im Jahre 1997 erschienen), Jugendfreundin von Elise Cowen, beschreibt in diesem biographischen Roman ihr jahrelanges Warten auf Kerouac, den sie liebte, sowie Elises symbiotisches Verhältnis zum anderen Counterpart der mythischen Heldenverehrung: Allen Ginsberg. Diese Frauen der frühen Beattage waren die Musen, die weiblichen Musen der männlichen Beat Helden. Für Ginsberg war Cowen der katalysatorische Faktor seiner Initiation als Dichter. Ginsberg, der zu dieser Zeit noch unter seiner Homosexualität litt, diente Elise Cowen als Inspiration und sie ermöglichte, wie Caroline Hartge in „Öffne die Fenster und Shalom. Ein Versuch über Elise Cowen“ schreibt, seine großartige poetische Transzendenz.
Aber Ginsbergs Verhalten ihr gegenüber hatte immer etwas Ausgrenzendes, sein Schatten erdrückte sie und nahm ihr die Luft zu atmen. Von ihren Zeitgenossen hatte sie wenig an Fürsprache zu erwarten, schreibt Caroline Hartge. Sie lebte sozusagen im Schatten dieses Beat Giganten. In Some Thoughts About Elise Cowen im City Lights Journal No. 2 wird deutlich wie herablassend von seiner Gottgleichen Höhe er sie ausschloss aus dem Kreis der Beatgötter. Der von Ginsberg und Lucien Carr unterzeichnete Text bezeichnete Elise als „Elipse“, als „Eklipse“, als Himmelskörper der in den Schatten des strahlenden Planeten Ginsberg gerät und somit unsichtbar wird. (siehe Caroline Hartge).
Im Grunde war es so, dass sie es nur härter traf als die anderen frühen Beat Heroinen. Wenn man die damals in den frühen Sechzigern erschienen Anthologien durchblättert sind bis auf wenige Ausnahmen nur Männer zu finden. In der von Walter Höllerer mit Gregory Corso 1961 im Hanser Verlag herausgegebenen Sammlung „Junge amerikanische Lyrik“ sind es drei Frauen, die mit ihren Gedichten Eingang gefunden haben: Denise Levertow, Diane de Prima und Barbara Guest. Das entspricht gegenüber den in diesem Band aufgenommenen Maennern etwa 2%. In der 1962 im Rowohlt Verlag erschienenen Anthologie: „Beat“ von Karl O. Paetel gibt es nur eine Frau: Leonore Kandel. Das war es dann. Aber sie waren da, die Poetinnen. Frauen, die es wagten in den Fünfzigern die ihnen vorgegebenen Rollen als Mutter und Hausfrau abzulehnen.
Caroline Hartge rechnet sie zu der zweiten protofeministischen „Welle“ der Beat-Autorinnen. Zu ihnen gehört: Diane di Prima, Brenda Frazer, Joyce Johnson, Hettie Jones, Leonore Kandel und Joanne Kyger, alle zwischen 1930 und 1939 geboren. Aber auch Elise Cowen. Frauen einer Generation, die anfingen, einen ihr eigenen weiblichen Weg der Selbstverwirklichung zu suchen, einen Weg zu wählen der antibürgerlich ist und bis dahin, so wie es schien, als rein männliche Domäne definiert war. Und sie wagten es im eigenen Land. Sie gingen nicht wie ihre großen Vorgängerinnen, die sich fernab des amerikanischen Way of life, Anregung und Rückhalt im Paris der zwanziger, am Canale Grande oder in Bloomsbury suchten, sagt Caroline Hartge. Sie wagten ihren Schritt in der Nachbarschaft. Sie nahmen sich die männlichen Fluchtwege ihrer Partner und wählten, um Ginsberg zu zitieren, nein besser die weibliche Stimme, die Stimme Leonore Kandels:
...und wir in die Straßen dringen und unter ihnen umgehen und den Kampf aufnehmen.
Unsere mageren und leeren Hände erhoben
Werden wir hindurchgehen unter den Fremden der Welt
Wie ein bitterer Wind
Und unser Blut wird Eisen schmelzen
Und unser Atem wird Stahl schmelzen
Wir werden uns in die Gesichter starren mit nackten Augen
Und unsere Tränen werden Erdbeben aufbringen
Und unser Jammern wird Berge erstehen lassen und die Sonne still stehen lassen

SIE WERDEN KEINE ENGEL MEHR MORDEN!

Nicht einmal uns

Dieses Gedicht Kandels „Zuerst schlachteten sie die Engel“,
hier seine letzten Zeilen, hat die typische rhapsodische Sprache der Beats, aber Elise Cowens Sprache war anders, schreibt Hartge: „Das Skandalöse an Cowens Gedichten liegt in ihrer Unbewegtheit, mit der die fundamentalen Erschütterungen angesprochen werden.“ Hier ihr Gedicht über Emily Dickenson im Original:


EMILY
Emily white witch of Amherst
The shy white witch of Amherst
Killed her teachers
With her love
I’ll rather mine entomb
My mind
Or best that soft grey dove.

Ich denke, in diesen wenigen Zeilen kann man das Wesen Elise Cowens erfassen.
Ihre Gedichte wurden nach ihrer Selbsttötung im Jahre 1962 von ihren Eltern aus Scham über ihre missratene Tochter und wie sagten lesbische Tochter, verbrannt. Nur achtzig von ihnen, die, die Eltern übersahen, wurden von einem ihrer Freunde, Leo Skir, gerettet.
Sie sind die Basis für das im Jahre 2014 bei Ahsahta Press geplante und von Tony Trigilio editierte Buch "Elise Cowen: Poems and Fragments" wie Tony Trigilio mir in einer Mail mitteilte. So wird also nach mehr als fünfzig Jahren ihr Werk uns zugänglich sein. Und ich frage mich in Abwandlung von E.E. Cummings: „...und was ich wissen möchte ist, wie ihnen ihr blauäugiges Mädchen gefällt
Mister Tod.

Wobei ich nicht weiß und auch nicht glaube, dass Elise Cowen blaue Augen hatte. Oder doch?

Jeanne Lessenich

Literatur:
Hartge, Caroline (2010) Öffne die Fenster und Shalom,
Ein Versuch über Elise Cowen. Stadtlichter Presse
Heartbeat Spezial Nr.1

Knight, Brenda (1996) Woman of the Beat Generation.
Conari Press Berkeley, CA

Johnson, Joyce (1997) Warten auf Kerouac.
Antje Kunstmann Verlag

Ebreo, Leo (1965) Beat Alice, In. The Ladder: A LESBIAN Review.
Vol. 10 no.1. Barbara B. Gittings (Hrsg.). Philadelphia S.4-9.


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Die transzendierte frau

Die transzendierte Frau von Andrea Bronstering
Die Idee eines Geschlechtswechsels ist alt. Aus der europäischen Antike stammt das Beispiel des blinden Sehers Teiresias, der zur Frau wurde und nach sieben weiblichen Jahren ins männliche Geschlecht zurückkehrte, nachzulesen in den „Metamorphosen“ des Ovid. Das Konzept eines hormonell-chirurgischen Geschlechtswechsels, der juristisch-sozial sanktioniert wird, ist eine Geburt des frühen 20 Jahrhunderts, vom deutschen Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld trassiert. Das routinierte Management eines Geschlechtswechsels unter dem Titel Transsexualtität ist in Deutschland gerade 30 Jahre alt, das Transsexuellengesetz und die Kostenübernahme für Hormone und Operationen durch die Krankenkassen markieren den Nullpunkt der transsexuellen Moderne. Doch lange vor der Zeit einschlägiger Foren im Internet, boomender Gender und Queer Studies an den Universitäten und einer Antidiskriminierungskampagne der Bundesregierung gab es Menschen, die ohne eine erkennbare Infrastruktur ihr Geschlecht wechselten, wagemutig und in Eigenregie zumeist. Ein bewegendes Zeugnis eines solch frühen Weges liegt nun unter dem sprechenden Titel „Die transzendierte Frau“ vor, im Frühjahr 2012 im Gießener Psychosozial-Verlag erschienen.

Jean Lessenich wird 1942 in Remagen geboren. Nach einer Ausbildung im Grafischen Design, ersten Arbeiten im Layout, einer gescheiterten Ehe und einem Intermezzo auf dem Strich geschieht 1973 der chirurgische Wechsel vom männlichen zum weibleichen Geschlecht. Es folgen Jobs als Art Direktorin bei Werbeagenturen in Düsseldorf und Frankfurt, später als freie Illustratorin für Magazine in Hamburg und München. 1985 nimmt Jean die männliche Rolle wieder an, um der japanischen Lebensgefährtin via Heirat ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. Nach deren Tod 1996 lebt Jean zölibatär und geschlechtlich neutral, der jahrelange Verzicht auf Hormongaben führt schließlich zu gravierenden gesundheitlichen Problemen. Heute, mit 70 Jahren, sieht Jean Lessenich sich als Transfrau im Frieden mit sich selbst. Sie lebt in einem Dorf in der Eifel und arbeitet als bildende Künstlerin. Das geschlechtliche Changierende ihrer Person ist wunderbar aufgehoben im Vornamen – französisch ausgesprochen (Jean Gabin) ist er männlich, englisch ausgesprochen (Jean Harlow) ist er weiblich.

Lessenichs Geschichte ist in mehrfacher Hinsicht ergreifend unorthodox. Sie macht sich in den 1960er Jahren auf den transsexuellen Weg, als Transfrauen bestenfalls die trübe Perspektive eines Lebens zwischen Nachtclub und Prostitution haben. In jenen Jahren ist Casablanca ihr Mekka, dort operiert der französische Gynäkologe Dr. Burou nach einer Methode, die für die Schaffung einer Neovagina noch heute vorbildlich ist. Jean Lessenich gehört in Deutschland zu den Pionierinnen, international zählt sie nach Christine Jorgensen, April Ashley, Coccinelle und Ian Morris zur zweiten Generation der Transfrauen. Beruflich kann sie reüssieren, sie arbeitet in den 1970er Jahren bei der legendären Agentur GGK in Düsseldorf. In jenen Jahren wird Werbung sexy, mutieren die Grafiker un Texter zu Popstars der Wirtschaft – und Jean Lessenich wird nach eigenen Worten „die erste transsexuelle Junior- und später vollwertige Art-Direktorin der Werbe- wie der Transsexuellen –Geschichte:“ Nicht zuletzt macht sie durch zwei langjährige Beziehungen prägende Erfahrungen mit außereuropäischen Kulturkreisen und deren Verständnis von Geschlechtlichkeit. Gemeinsam mit ihrer Freundin Grey hält sie sich länger in den Indianerreservaten der USA auf, mit ihrer Freundin Mori reist sie mehrfach nach Japan.
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Lessenich nimmt wohltuend Abstand von den hartnäckigen transsexuellen Stereotypen, „immer schon“ eine Frau gewesen zu sein oder eine weibliche Seele in einem männlichen Körper zu haben. Ihr Buch versteht sie als Rechenschaftsbericht über ihr Leben, als Versuch, im Sinne einer gelungenen Psychosynthese ihre Kindheit als Junge ebenso in ihre Biografie zu integrieren wie die Enttäuschungen, die sie ihren Eltern und ihrer Ehefrau mutmaßlich bereitet hat. Zwar kennt sie die frühkindliche Sehnsucht, ein Mädchen zu sein: zu ihren maskulinen Attributen entwickelt sie eine deutliche Distanz und spaltet sie imaginär ab. Ihren Penis aber hasst sie nicht direkt, er erscheint ihr einfach überflüssig zum Frausein. Sie beneidet die Nicht- Transsexuellen um die Selbstverständlichkeit, in einer dual organisierten Geschlechterwelt sich in genau einem Geschlecht fraglos zu hause zu fühlen. Das Gefühl geschlechtlicher Einsamkeit wird si auch Jahrzehnte nah der Operation nicht verlassen, die verweigerte Anerkennung durch Teile der Frauenbewegung hat sicher das Ihre zu dessen Verfestigung beigetragen. Auf der Suche nach ihrer Identität sind die Begegnungen in den Indianerreservaten für sie sehr wichtig: „die. Die sich wandeln“, körperliche Männer, die durch die Übernahme weiblicher Tätigkeiten als Frau identifiziert und als solche akzeptiert werden. Die Praxis des japanischen Zen-Buddhismus hilft ihr, das Denken in statischen Polaritäten zu überwinden. So liegt die Lösung eines Koans im Aufgeben der Suche nach Ihr. Auf die absurde Frage „Wie klingt das Klatschen mit einer Hand?“ kann es keine kausale Antwort geben, nur die Einsicht, dass die Dinge sich wandeln, unabhängig vom Willen des Menschen: „Im Schnee verdecken die Zeige des Winters die Blüte des Frühlings.“ Diese heitere Gelassenheit Lessenichs bei der Benennung ihrer Seele schwingt auch im fabelhaften Titel ihres Buches mit. Eine „transzendierte“, zurück gelassene, überwundene Frau ist eine , die annimmt, dass sie keine ist und den Schmerz über dieses Schicksal aushält.

Zum Ende ihrer Geschichte kommt Lessenich in der transsexuellen Postmoderne an. Sie hat ja selbst als Transgender gelebt, mit einem verweiblichten Körper in der männlichen Rolle, in der Partnerschaft mit ihrer Freundin als Butch. Sie kennt die bleibende Trauer um die fehlenden Mädchenjahre, ebenso wie die Lust, sich als junge attraktive Frau zu inszenieren. Träumte sie früher davon wie Brigitte Bardot auszusehen, orientiert sie sich heute an Rollenmodellen à la Susan Sontag. Schließlich attestiert sie heutigen Transfrauen, die ein frühes Coming-Out schaffen, die Chance, von ihrem ersehnten Gender assimiliert zu werden. Aber auch bei ihnen riecht sie die „Mischung aus Östrogenen, Parfum und Angst, die wir ausdünsten, wenn wir uns in die Öffentlichkeit wagen:“ Spättische, beleidigende oder gar bedrohliche Reaktionen sind nicht verschwunden, eine ordentliche Portion an Resilienz bleibt unabdingbar in einer verfestigt transphoben Gesellschaft. Lessenich empfindet Genugtuung darüber, dass sie nun zu den Veteraninnen zählt, ohne allerdings dadurch der Lösung des Rätsels Geschlecht näher gekommen zu sein. Ganz sicher ist ihre Erzählung wichtig für das kollektive transsexuelle Gedächtnis. Sie ist eine Einladung an die Nachgeborenen, ihr zuzuhören. Zu sagen hat sie allemal genug.

Andrea Bronstering

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Rezension von: Sonja Eismann
Titel: Die transzendierte Frau

Erschienen in: Missy Magazin 3/2012

»›Die Augen der anderen können dich streicheln, aufbauen, vernichten‹, heißt es in der Autobiografie der transidenten Künstlerin Jean Lessenich ...«

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Rezension von: Paula Bolyos
Titel: Die transzendierte Frau

Erschienen in: An.schläge WeiberDiwan. Die feministische Rezensionszeitschrift. Winter 2012/2013

»Lessenich hat ein Buch geschrieben, das neben der persönlichen Geschichte wichtige Gesellschaftskritik formuliert. Wenn es auch beinahe banal ist, kann es nicht oft genug wiederholt werden: Gegenseitige Akzeptanz ist das Mindeste für halbwegs angenehmes Zusammenleben
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Rezension von: Gudrun Hauer
Titel: Die transzendierte Frau

Erschienen in: Lambda Nachrichten 4/2012

»Dass die autobiografische Auseinandersetzung mit der eigenen Transsexualität auch anders möglich ist, vermittelt eindringlich Jean Lessenich in ›Die transzendierte Frau‹. Engagiert, nachdenklich und kunstvoll erzahlt die Autorin von zahlreichen Brüchen i...«

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Rezension von: Elke Heinicke
Titel: Die transzendierte Frau

Erschienen in: Lesbenring-Info Nr. 4/2012 (August/September)

»Diese Lebensgeschichte liest sich atemberaubend, wird ohne Schnörkel mit großer Ehrlichkeit erzählt. Wirft Schlaglichter auf Gewinn und Verlust eines solchen Lebens ...«

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Rezension von: Julia Mac Gowan
Titel: Die transzendierte Frau

Erschienen in: an.schläge. Das feministische Monatsmagazin. Nr. 07–08/2012

»Einblicke in ein sehr bewegtes Leben gibt Jean Lessenichs Autobiografie ›Die transzendierte Frau‹. Das Buch lässt teilhaben an dem einzigartigen Lebenslauf eines transidenten Menschen: Schon vor über vierzig Jahren unterzog sich Lessenich als eine der ersten ...«

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Rezension von: Andrea Bronstering
Titel: Die transzendierte Frau

Erschienen in: Transgenderradio (Alex Radio)

»Ganz sicher ist ihre Erzählung wichtig für das kollektive transsexuelle Gedächtnis. Sie ist eine Einladung an die Nachgeborenen, ihr zuzuhören. Zu sagen hat sie allemal genug ...«

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Die transzendierte Frau: Eine Autobiografie von Jean Lessenich
Kurzlink: http://www.amazon.de/dp/3837921700


Nun bin ich die niemals müde junge Hirschfrau
oder der Ajilie- Mann.
Edition Suhrkamp 1985
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Das Buch ist eine Collage, die unterschiedliche Identitätsstücke zusammen setzt und sehr anregend mit den Krücken des Lesers spielt, bis dieser endlich frei sich von den Worten führen lässt.
Eine junge Frau, Kind einer deutschen Mutter und eines indianischen Vaters, geboren in der Nachkriegszeit als Besatzungskind erfährt Misshandlung und Missbrauch in ihrer Pflegefamilie und sucht ihre Identität in ihren Indianischen Wurzeln. Der Erzähler begleitet aus Liebe diese Frau, in der Hoffnung ihrer beider Zerrissenheit zu einem gemeinsamen Bild, in einem mystischen Puzzle zusammen zu setzen. Doch am Ende verweigert sich die Frau und verliert sich in ihrem indianischen Traum. Leben ist ihr wichtiger als Überleben und so findet sie den Tod. Die Gedichte, die sie als Vermächtnis hinterlassen hat und die in diesem Buch veröffentlicht sind, zeigen die Tiefe ihrer Gefühle, die kein Verstand erreichen kann. Das Buch ist sicherlich keine leichte Lektüre und erschließt sich erst beim mehrmaligen Lesen, doch auch dann wirkt es immer wieder neu und ist keineswegs eine Wiederholung.

Von Alina
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