Oct 2016

Die Wanderung auf den Gipfel des Bausenbergs

Die Wanderung auf den Gipfel des Bausenbergs

Der Bausenberg befindet sich zwischen Niederzissen im unmittelbaren Süden
und Waldorf im Nordosten. Östlich vorbei am Berg führt an der „Anschlussstelle Niederzissen“ die Bundesautobahn 61. Umgeben ist er von einem Naturschutzgebiet, das zunächst mit einer Verordnung vom 27. August 1968 einstweilig sichergestellt wurde.
Am 14. April 1981 wurde der Berg per Rechtsverordnung der Bezirksregierung Koblenz zum Naturschutzgebiet erklärt. Das Schutzgebiet hat eine Größe von 127 Hektar und umfasst Teile der Gemarkungen Niederzissen und Waldorf. Schutzzweck ist die Erhaltung des Schlackenkegels mit einem nach Nordosten ausgeflossenen Lavastrom, wegen seiner besonderen geologischen Bedeutung und als Standort seltener Pflanzenarten und Pflanzengesellschaften sowie als Lebensraum seltener Tierarten aus wissenschaftlichen Gründen. Auch der auf dem Bausenberg befindliche, gut ausgebildete Ringwall ist Teil des Schutzgebiets.1)

Als ich vor nun zehn Jahren hierher zog, waren es auch die Kegel der erloschenen oder schlafenden Vulkane, die mir den Weg in diese Gegend wiesen. Der Ort, an dem ich lebe, befindet sich sozusagen auf der vor 150 000 Jahren ausgelaufenen Asche des Vulkans. Man kann sagen, wir leben in Waldorf in seinem Schatten. Schon lange bevor ich mich am Fuße dieses Kegels niederließ, faszinierte er mich. Jedesmal, ob von Norden oder von Süden kommend, über die A61, fiel mein Blick auf diesen Berg.

Nahasdzaan, "Kopf der Erde“, ist das Navajo-Wort für solche Kegelberge. Und der Ethnologe und Religionshistoriker Karl W. Luckert schreibt in seinem Buch "Olmec Religion“ 2), dass die Menschen dieser wohl ältesten mittelamerikanischen Kultur die Kegelvulkane als den Kopf der großen Erdschlange betrachteten. Und dass die Bewegung dieser Schlangen nach dem Glauben dieser Völker die Ursache seien für die in Mittelamerika häufigen Erdbeben, die mit ihrer Asche die Erde befruchteten.

Die Wahrheit über den Bausenberg


Wir wissen nicht, ob die Menschen, die vor vielleicht 150 000 Jahren hier in der Eifel lebten, so etwas wie einen Schlangen- oder Drachenkult kannten. Nur in Sagen und Märchen des alten Europas tauchen Drachen in europäischen Landschaften auf. Und meist sitzen sie auf großen Schätzen. Das ist alles jetzt lange her und die Wissenschaft, die Religion unserer Zeit, kennt solche Dinge nicht.

Aber egal in welcher Welt und welcher Kultur: Stein und Berg, erst recht Vulkane, verkörpern oft das Heilige. Und der Blick von oben hat immer was Erhabenes. Ob im Judentum, im Christentum, im Buddhismus oder im Islam: Alle Religionen kennen heilige Berge. bamot heißt im hebräischen "ein erhöhter Ort“3), der Ort, wo die Menschen sich versammelten, um mit Gott zu sprechen, ehe Salomon den Tempel baute. Danach wurden die erhöhten Orte, die Berge, Orte des Bösen, nicht nur im Judentum, auch im Christentum und im Islam. Die Rolle der Berge übernahmen die Kathedralen, die Tempel und Moscheen. Orte, bei denen keine Gefahr bestand, in den Paganismus zurück zu fallen. Orte, die in der Hand und der Kontrolle der Priester sind. Denn wer weiß, wem man da oben auf dem Berg begegnet.

Mohammed erhielt auf dem Berg Hira seine Instruktionen vom Erzengel Gabriel. Das war die Erweckung Mohammeds, die Salman Rushdie in seinen "Satanischen Versen" in Frage stellte und sich fragte, wem begegnete da Mohammed wirklich?


Als ich am Morgen des 13. September 2016 mich aufmachte, den Bausenberg, diesen uralten, von Sagen umrauschten Berg, zu erwandern, tat ich das “in a sacred manner“, wie es Black Elk 4), der heilige Mann der Lakota, ausdrücken würde. Es war mir klar, dass ich hier nicht den Harney Peak in den Black Hills von South Dakota besteige (der übrigens inzwischen von der US-amerikanischen Regierung in Hächaka Sappa Peak umbenannt wurde, also in Black Elk Peak). Es ging mir nicht darum, das Indianische hierher zu holen in die Osteifel, vielmehr dem nach zu fühlen, was der Ethnologe Karl W. Luckert "the Prehuman Flux 5) nannte und was der chinesische Dichter Toba nach seinem Kensho 6) so formulierte

Die Stimme des Tales ist (Buddhas) weite und lange Zunge
die Formen des Berges sind nicht anderes als sein reiner Körper
vierundachtzigtausend Verse klingen durch die Nacht,
wie kann ich dies an einem anderen Tag den Menschen sagen?


Als er diese Verse dem Zen-Meister Jo(so) vorlegte, bestätigte dieser die Erfahrung. 7)

bausenberg2


Als ich im zweiten Jahr meines Aufenthaltes hier in der Osteifel am äußersten Rande derselben von oberhalb der Burg Rheineck in das Vinxtbachtal schaute, begriff ich diese Zeilen und ich erfuhr, was sie im tiefsten Innern bedeuten.

Ich kannte diese Empfindung, ich kannte sie seit meiner frühesten Kindheit. Dieser Moment, in dem die Welt da draußen, die Zivilisation, von mir abfällt und ich eins werde mit dem, was mich unter freiem Himmel umgibt, der Wind, das Rauschen der Blätter, die Stimmen der Vögel. Wo sich die Erde, die Landschaft der Eifel, mit dem verbindet, was weit weg scheint, aber doch so nahe ist: der lebendige Geist der Erde. Oder soll ich sagen das Licht der Welt? Mit den Worten des chinesischen Dichter Tobas: Buddhas weite lange Zunge. Und die Form des Berges ist nichts anderes, als der reine Körper. Egal wie ich es nenne, es ist heilig. Und die Landschaft hier kann ja nichts dafür, dass wir sie entheiligt haben.

Ich besteige den Berg also über den Osthang, auf dem Pfad, den der große Trampler, jener große in der Bausenberg Sage beschriebene Stein, auf dem Gipfel am Rand des Vulkans ertrampelte. Und begegne ihm oben 8)

Trampler


Ich frage mich: Was empfanden unsere Vorfahren, als Orte wie diese noch lebendige Orte waren und dort mächtige Wesen, möglicherweise die Götter, wohnten? Es gibt eine wunderbare Beschreibung dessen, was eine solche Wanderung für archaische Menschen bedeutete, verfasst von Alfonso Ortiz 9), er beschreibt in diesem Essay, wie im Jahre 1932 die Ältesten des San Juan Pueblos in New Mexico beschlossen, während der großen Dürre jener Jahre im Südwesten der USA zu einem ihrer heiligen Berge zu pilgern, um dort die Geister der Ahnen um Regen zu bitten. Ich kann hier nicht auf die Details der Reise eingehen, das würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, aber sie ist ein wunderbares Beispiel einer Pilgerfahrt zu einem solchen heiligen Berg. Ortiz beschreibt, wie die Priester des Sommers und die des Winters, also der Jahreszeiten, sich mit den heiligen Clowns und den Clanältesten auf den Weg machten, um diesen Berg zu erwandern und sowohl am Fuß des Berges wie auch unterwegs ihre Rituale zu zelebrieren. Es ist eine gefährliche Reise, der Berg verlangt seine Opfer. Einer der Priester, der der Stimme des Berges folgte, die nur er während der Wanderung hörte, kehrt nicht mehr zurück, er bleibt im Berge. Trotzdem war die Pilgerreise am Ende ein Erfolg, da sie den lang ersehnten Regen brachte.
Mir kommt es in diesem Zusammenhang auf die Stimme des Berges an. Der rufende Berg und die, die im Berg bleiben. Ein Motiv, das sich bis heute in der Bergsteiger-Mythologie erhalten hat. Wir kennen alle den Spruch: Der Berg hat ihn sich geholt.

Später entdecke ich ein Büchlein: "Sagen und Legenden der Eifel“, gesammelt und bearbeitet von Hans Peter Pracht, erschienen im J.P. Bachem Verlag Köln. Darin finde ich den von mir gesuchten Beweis des Zusammenhangs von Berg, Vulkan und Drache: die Sage vom Drachen des Bausenbergs. Eine Geschichte, wie wir sie alle kennen: von Tolkiens Hobbit, aus dem Nibelungenlied und vielen anderen mythischen Erzählungen, wie der Sage vom Drachen, der die Ernte zerstört und Jungfrauen als Opfer verlangt. In der Bausenberg-Sage ist es der heilige Georg selber, der dem Unwesen des Drachens ein Ende bereitet und dem Gott der neuen Religion, dem Gott ohne Namen, die Macht gibt, und so die alten lokalen Gottheiten in ihre Schranken weist.
So wie Cortez 10)mit der Besteigung des Popocatepetel in Mexiko das Ende des Azteken-Reiches einleitete, so beendete der heilige Georg die Zeit der Drachen und der heiligen Berge in der Osteifel. So scheint es.

Am Fuße des Bausenberges befindet sich eine Kapelle, geweiht einem der zahlreichen Heiligen der katholischen Kirche, Heilige, an die der, der dem Christentum den Namen gab, vermutlich gar nicht gedacht hat. Aber wer weiß: Vielleicht ist es auch in der Osteifel so wie in Mexiko, wo die alten lokalen Götter als Heilige wieder auferstanden sind.

Bausenberg

Oben auf dem Berg begegnete mir dann in der Gestalt des großen Tramplers der zuständige Geist des Berges. Nach der Art der Mohawk opferte ich ihm Tabak und hinterließ ihm ein Geschenk. Von dort blickte ich über das Brohltal hinweg zum Laacher See und fühlte mich gesegnet.
Der Drache hat den Bausenberg seit Jahrtausenden verlassen, wie es scheint. Aber da ist noch einer drüben unter dem Laacher See. Und der schläft und träumt.

1)Quelle https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bausenberg
2)Karl W. Luckert, Olmec Religion A Key to Middle America and Beyond 1976, University of California Press
3)Ronald Levitsky "Mit der Macht der Geister" S. 89, Rowohlt 1995
4)John Neihard, Schwarzer Hirsch "Ich rufe mein Volk" Walter Verlag Olten
5)
Karl W. Luckert, the Navajo Hunter Tradition, the University of Arizona Press 1981
6)Erwachen, im allgemeinen Sprachgebrauch Erleuchtung
7)"Shobogenzo, die Schatzkammer des wahren Dharma Auges, Meister Dogen, Werner Kreistiz Verlag, Heidelberg

8)
(4) Eine Bausenbergsage und zwei neue Märchen.
Ein Auszug aus "Die Orchideentrampler":
"... Da ertönte ein dumpfes, monotones Getrampel und, wie aus dem Boden gestampft, stand ein seltsames, unbekanntes Tier vor den Verliebten.
'Hör zu, Großer Trampler, geh vor den beiden her, bis zu des Berges Fuß und schaffe ihnen einen Pfad, damit sie sich bei ihrem nächsten Besuch nicht so plagen müssen - Euch beide aber bitte ich, das Geheimnis des Vulkans zu bewahren, auf dass meine Orchideen keinen Schaden nehmen und niemand mir meine Mußestunden störe.'
Freudig versprachen sie es und huschten davon, denn der Große Trampler war schon kräftig dabei, mit seinen klumpigen Füßen einen Trampelpfad in den östlichen Außenhang des Vulkans zu treten.
Leider kam jedoch alles anders, als es sich die Fee und die beiden jungen Leute aus dem Tale gewünscht hatten ..."
MÜLLER, W. & SCHRÖDER, H. (2003)
Der Bausenberg
Vulkan und Heimat seltener Pflanzen und Tiere
Görres-Verlag, Koblenz, bebildert, 276 Seiten.
9)
Syndikat, Frankfurt am Main 1981, Alfonso Ortiz, Die letzte Wanderung auf den Berggipfel
in Hans Peter Dürr "DerWissenschaftler und das Irrationale"
10)
Tzetvan Todorov, Die Eroberung Amerikas, das Problem des Anderen, Edition Suhrkamp 213; 1985